Meine Begegnung mit Bettlern (von Ulla Bettmer)

Den Stift verstehen - Weisheit & Dialog >>

 

von Ulla Bettmer

Seit Jahren schon laufe ich an Bettlern vorbei mit gemischten Gefühlen, mal gebe ich, mal nicht, und jedes Mal kreisen viele Gedanken und Emotionen in meinem Kopf.

Habe ich gegeben, war es oftmals von einer arroganten Art begleitet, ganz subtil, gönnerhaft oder auch ganz politisch, schließlich habe ich mich jahrelang lautstark für Gerechtigkeit eingesetzt, dann wieder mit viel Traurigkeit, dass es soviel Armut geben muss oder dieses Ohnmachtsgefühl, „hört das nie auf“, „werden wir jemals in einer Welt der Harmonie und Ausgeglichenheit leben?“ oder auch aus einem ehrlichen Gefühl und aus Anerkennung mit wieviel Mut die Menschen sich auf die Straße stellen und betteln.

Wenn ich nicht gegeben habe, fühlte ich mich schlecht, knauserig, herzlos, etc. Diese Gedanken gingen dann in einen Wettstreit mit aufkommender Wut, „warum muss ich ihnen begegnen“, „was kann ich dafür, dass es soviel Armut gibt“, „ich habe auch nur wenig Geld“, „die werden es sowieso nur in Drogen umsetzen“, „die gehören zu einem organisiertem Ring und fahren heute Abend mit einem Mercedes Benz davon“.

Also entschied ich: wem ich gebe und wem nicht. Ich also nahm mir das Recht, zu urteilen, wer es würdig war, von mir Geld zu bekommen oder nicht. Das Kopfkino wollte kein Ende nehmen und das alles wegen diesem lausigen „ein Euro“.

Mit den Vorträgen von Geshe Michael Roach fing ich an zu lernen die Welt auch mal anders zu sehen, nämlich als von mir inszeniert.

Eigentlich konnte ich nun nicht mehr so an Bettlern vorbei gehen, tat es aber trotzdem. Das Kino ging weiter, aber immerhin gab es schon Male, die sich frei von allen Emotionen, Konventionen, Bewertungen etc. anfühlten.  Aber wenn ich ehrlich war, dann wusste ich, das Thema hatte ich noch nicht gelöst. Und irgendwann bemerkte ich, dass sich die Anzahl der Bettler auf meinen Wegen erhöhte. Die Art und Weise, wie sie mich ansprachen gipfelte dann in einer Begegnung, die sehr aufdringlich - so direkt und insistierend war - dass ich eines Morgens auf ca. alle 30 – 50 Metern auf einen Bettler traf.

Als ich schließlich bei der Arbeit angekommen war, hatte ich viele Gedanken darüber hin und herwälzen können und wie ein Lichtblitz traf es mich: diese Bettler waren meine Lehrmeister. Sie wurden mir buchstäblich geschickt. Ich hatte auf dem Meditationskissen frühmorgens, wie so oft darum gebeten / gebetet / gewünscht, dass ich Hinweise bekomme, was ich tun kann, um die Armut in meinem Leben und die Anderer verbessern zu können.

Ich war zu blind, in einem Bettler diesen Hinweis zu sehen. Auch zu blind für zwei oder drei, es musste gleich eine ganze „Armee“ kommen. Ich war tief bewegt, Tränen stiegen mir in die Augen, ich war beschämt und glücklich zugleich und ich fühlte diese Verbundenheit mit den Bettlern: ich fühlte in dem Moment, sie waren eigentlich ich.

Nun war ich bereit und freute mich auf die nächste Begegnung mit den Bettlern. Ich gab freudig. Ich sah in ihnen die Buddhas. Ich sah nunmehr das Licht in den Gestalten, die ärmlich aussahen. Ich las in ihren Gesichtern die Botschaften an mich, den Spiegel meiner eigenen Gedanken und Gefühle. Und nach einiger Zeit bemerkte ich, wie es keine Bettler mehr auf meinen Wegen gab - für eine Weile.

Nun tauchen sie ab und zu in der Ferne auf, ganz selten nah bei und ich merke, das Thema ist noch nicht  abgeschlossen, denn ich werde aus der Ferne daran immer wieder erinnert. An manchen Tagen, fahre ich dann einen Umweg und gehe zu dem Bettler hin. An manchen Tagen registriere ich die Erinnerung daran und versuche an dem Tag, bewusst eine Situation zu finden, wo ich geben oder etwas für jemand in Not tun kann. An manchen Tagen fahre ich vorbei, um dann wenig später zurückzufahren und doch zu geben. An manchen Tagen ereilt mich die „alte Gewohnheit“.

Ich bin dankbar für diesen Prozess, dankbar, dass sich mir die Möglichkeiten zu erkennen, zu verstehen, so in meinen Weg stellen. Dankbar für all das Wissen, dass mir hilft, meine Barrieren zu überwinden.

Das Licht ist dort, wo der Schatten sich wirft.

 

Bildnachweise:
Links oben: "Homeless", Fotograf:  Pedro Ribeiro Simões, Quelle:
www.piqs.de, Some rights reserved.
Rechts unten: "buddha portrait - the bayon", Fotograf: Davidlohr Bueso, Quelle:
www.piqs.de, Some rights reserved.

 

Erstellt am: 05.10.2012, Zuletzt geändert am: 11.10.2012

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Kommentare

Danke! von Gast am 06.10.2012 um 18:50
Brigitte
Dank für Dein teilhabenlassen!!!!!!! von Gast am 11.11.2012 um 17:49
Habe andere Geschichten mit Armut und Bettlern, aber die Gefühle und Emotionen bei Begegnungen mit "Bettlern" sind Deinen ähnlich. Es sind viele Facetten, die hier sichtbar werden können.
Vor vielen Jahren übte ich meinen erlernten Beruf in einem sogenannten gehobenen Haushalt aus. Auf meinem morgendlichen Weg dorthin kaufte ich ein und traf zweimal in der Woche an einer kleinen Brücke einen Bettler mit seinem Schäferhund. Auf dieser Brücke war sein regelmässiger Standort. Die Leute kannten ihn und er war beliebt. Er sah ordentlich aus und manchmal, wenn es die Zeit erlaubte, redeten wir ein paar Worte. Er hatte sich irgendwann bewusst dafür entschieden, auf der Strasse zu leben. Er wollte sich einfach nicht diesem unseren System unterwerfen und anpassen. Was ich sehr gut nachvollziehen kann. In meinen Augen eine sehr mutige Entscheidung.
Er sagte auch immer wieder sehr weise Worte (und das von Einem von der Strasse!).
Einmal, als wir mal wieder ein paar Worte ausgetauscht hatten, fühlte ich wieder diese tiefe Weisheit und musste das, weil es mich so bewegt hat, an meinem Arbeitsplatz meiner damaligen Arbeitgeberin erzählen. Ich weiss heute nicht mehr die Worte und auch nicht mehr, worum es ging. Ich kann mich nur noch an das Gefühl der tiefen weisen Worte erinnern. Als ich davon erzählte, kam mir überhaupt kein Verstehen, kein Verständnis für meine Gedanken und Wahrnehmungen auf diesen Mann auf der Brücke bezogen, entgegen. Im Gegenteil. Was soll man von einem Bettler erwarten?
Da habe ich zum ersten mal die Armut einer in unseren Gesellschaft reichen Menschens gespürt.
Wer ist nun reicher?
Die Reiche oder der Bettler?
Kann ich auch beides leben, innere Weisheit und äusseren Reichtum?
von Gast am 11.11.2012 um 17:53
Habe vorher vergessen, meinen Namen einzutragen
Bin Sylvia und Grüsse alle, die das lesen
von Gast am 27.11.2012 um 19:46
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************ Dharma-Adventskalender ***************************
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Advent, Advent.......oder die 24-Tage-pre-x-mas-Matrix...;-)....
eine gemeinsame Adventsaktion...very powerful...;-)....

-- jeder fertigt 24 Säckchen, Tüten etc. an,
–- jeden Tag wird davon eine Tüte/Säckchen mit etwas gefüllt. Der Kreativität
sind keine Grenzen gesetzt, mit viel Herzblut darf gestaltet und gefüllt
werden.
–- auf dem Weg zur Arbeit o.ä. wird ab dem 01. Dezember täglich ein
Säckchen/Tütchen einem obdachlosen (od.einsamen) Menschen überreicht.
–- so schwärmen wir 24 Tage lang aus und schenken obdachlosen Menschen etwas.

Geshe Michael Roach hat einmal gesagt,
alle Samen die wir alleine säen sind kraftvoll,
aber alle, die wir gemeinsam säen sind
unendlich viel kraftvoller.....

sicherlich ist diese 24-Tage-Matrix eine schöne Erfahrung und birgt eine starke Kraft, vor allem auch in dem Bewusstsein, dass mehrere Menschen aus unserer Sangha gemeinsam täglich ausschwärmen......wie ein Netz.......
so füllen wir den Adventskalender vielleicht wieder mit seiner ursprüng-lichen Bedeutung.......

.....................ein Lichtlein brennt......erst eins, dann.......;-)................

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